Von Libau nach Mitau / Kurland
Vorwort von Herbert Becker
Bei meinen genealogischen
Forschungen bin ich immer wieder auf deutschbaltische Kaufmannsfamilien aus Libau und anderen Städten in Kurland gestoßen, deren Nachkommen Stadt-, Landes- oder Staatsbeamte wurden. Ein Beispiel hierfür war die Kaufmannsfamilie
Becker aus Libau (Genealogie > Becker ). Viele, die aus Kaufmannsfamilien stammten, zogen im 19. Jh. nach Mitau, der Hauptstadt des seit 1795 russischen Ostseegouvernements Kurland. Für die Erforschung solcher Familien
sind neben den Kirchenbüchern auch die in Adressbüchern und Kalendern enthaltenen Beamten- und anderen Personenverzeichnisse von Bedeutung. Das gilt insbesondere für die Hauptstadt Mitau. Jedoch stehen diese Quellen - wie z. B.
die in Libau und Mitau herausgegebenen Kalender - den Familienforschern nicht immer zur Verfügung. Auch auf Grund häufiger Anfragen habe ich einige Verzeichnisse aus diesen Quellen auf meinen Webseiten veröffentlicht.
Die wirtschaftlichen
Veränderungen seit dem Anschluss Kurlands an Russland, ins- besondere die Einführung des russischen Handels-, Zoll- und Steuerrechts, mit dem auch alte Handelsprivilegien fortfielen, führten dazu, dass viele Söhne aus
kurländischen Kaufmanns- familien sich nicht mehr als Kaufmann etablierten, sondern in den Landes- oder Staatsdienst eintraten. * Nicht wenige von ihnen erreichten dort Beamtenränge, durch welche sie nach russischem Standesrecht Erbliche Ehrenbürger, persönliche oder erbliche Edelleute wurden. Langgediente Beamte konnten den Wladimir-Orden erhalten, der in allen Stufen mit der Verleihung des erblichen Adels verbunden war. In den Beamtenverzeichnissen ist dieser Erbadel an der Bezeichnung “Ritter” (des verliehenen Ordens) erkennbar. Für Kaufleute hin- gegen war es erheblich schwieriger, in den russischen Adel aufzusteigen, denn bereits den Rang eines Erblichen Ehrenbürgers erhielten, wenn überhaupt, nur solche, die viele Jahre den höchsten Steuergilden angehörten.
So vermitteln die Beamtenverzeichnisse
mit ihren vielfältigen Abstufungen von Rängen und Titeln ein Bild vom sozialen Status der jeweiligen Familie. Ihre genealogische Auswertung zeigt, dass sich gerade in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erhebliche soziale
Veränderungen in Kurland vollzogen. Die von mir hier und an anderer Stelle veröffentlichten Verzeichnisse sind, wie ich hoffe, nicht nur für die Genealogie, sondern darüber hinaus auch für die Sozial- geschichte Kurlands von
Interesse.
HB
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* Zu diesen und den folgenden Ausführungen:
Herbert Becker: Zur Genealogie deutsch-baltischer Kaufmannsfamilien in Kurland (17.-19. Jh.). In: Herold-Jahrbuch, N.F. 5 (2000), S. 9-16.
Herbert Becker: Die Kaufmannsbürger der Großen Gilde zu Libau in Kurland im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der baltischen Ständegesellschaft.
In: Herold-Jahrbuch, N.F. 10 (2005), S.9-41. Herbert Becker: Familie Becker aus Libau in Kurland. In: Archiv Ostdeutscher Familienforscher, Bd. 15 (2003), S. 513-522.
Außerdem zur Genealogie und Geschichte Mitaus: Karl-Otto Schlau: Ratslinie der Stadt Mitau in Kurland 1573-1918. Baltische Ahnen- und Stammtafeln, Sonderheft 27. Hamburg 2002.
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